Ukraine
Dörfer ohne Gas und Wasser – "Harter Winter droht"
Durch die russischen Angriffe sind dutzende ukrainische Dörfer von Wasser und Gas abgeschnitten. Mit dem Wintereinbruch drohen Chaos und Massenflucht.
Die Angriffe der russischen Armee auf die Versorgungsinfrastruktur nehmen zu. Millionen von Menschen drohen laut Militär und Waffenexperte Marc Finaud von Wasser, Energie, Nahrungsmitteln und Medikamenten abgeschnitten zu werden. Gerade aufgrund des nahenden Winters könnte dies laut dem Experten verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung haben.
Der Winter ist in der Ukraine auch ohne Krieg hart, gerade in ländlichen Gebieten. Für Sasha Volkov ist der Krieg in seinem Heimatland besonders nah – auch wenn der Ukrainer seit rund zwei Wochen wieder in der Schweiz ist. "Meine Familie und Freunde in der Ukraine befürchten, dass der Strom und die Wasserversorgung temporär ausfallen könnten."
"Diesel für Generatoren droht auszugehen"
"Bei einem längeren Unterbruch sind die Menschen in erster Linie auf Benzin und Diesel für Generatoren angewiesen. Viele Menschen versuchen derzeit, genügend Vorräte davon anzulegen. Gelingen Putin weiterhin empfindliche Schläge gegen die Versorgungsinfrastrukturen, könnte das dazu führen, dass kein Strom und keine Heizstoffe mehr da sind und die Menschen frieren müssen", sagt Volkov.
Im Notfall hätten viele Ukrainer zwar ein "Gartenhäuschen", in welches sie flüchten könnten. Der eigene Brunnen und die Möglichkeit, autonom zu heizen, seien ein großer Vorteil. "Meine Eltern haben sich auf einen Ausfall der Versorgungsinfrastrukturen vorbereitet – sie haben drei parallel funktionierende Heizungsanlagen installiert: Elektrisch, Gas und Holz." Ein Unterbruch könne so kurzfristig überbrückt werden.
Gelingt es Putin aber, große Staudämme zu zerstören oder Kraftwerke für längere Zeit außer Kraft zu setzen, werde es für die Menschen schwierig, einen harten Winter zu überstehen. Das könnte laut Volkov im Extremfall Chaos und weitere Massenfluchten zur Folge haben.
Auch in den Städten muss gespart werden
Für Heizöl- und Gasknappheit seien in den Städten deshalb sogennante "Heizungs-Punkte" geplant: "Statt alle Häuser zu heizen, hält man bestimmte Gebäude warm, in denen Menschen ohne funktionierende Heizungen untergebracht werden."
Olga Burbelo stammt aus der ukrainischen Hafenstadt Mykolajiw , die seit Februar 2022 massiv unter Beschuss steht – auch dort sei die Versorgung eines der Angriffsziele der Russen gewesen. Die Wasserversorgung habe aufgrund der Schäden durch das russische Militär eingestellt werden müssen. "Jeden Tag müssen Einwohner fünf bis sechs Stunden in der Schlange stehen, um an sauberes Trinkwasser zu kommen."
Die Stadtverwaltung von Odessa organisiere regelmäßig die notwendige Hilfe für die Bewohner von Mykolajiw. So würden laufend zerstörte Fenster, Dächer und Türen ausgetauscht. "Die wenige Wärme, die wir mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erzeugen können, bringt nichts, wenn sie gleich wieder aus den Häusern entweicht. Viele dichten ihre Fenster notdürftig mit Folie ab."
Versorgung reicht nicht aus, um alle Haushalte zu beheizen
Der Bürgermeister der Stadt Mykolajiw empfehle seit Juni 2022, die Stadt zu verlassen: "Wir können alles wieder aufbauen, was Russland zerstörte, aber wir können die Menschen nicht wieder zum Leben erwecken", sagte er in einem Youtube-Video. Er rate den Bewohner, sich für diesen Winter auf das schlimmste Szenario vorzubereiten.
Olga Burbelo glaubt, dass in Zukunft noch mehr Menschen aus Mykolajiw in der Schweiz flüchten: "Durch die russischen Besatzung leben dutzende Dörfer ohne Wasser, Gas und Licht." Trotz der Sparmaßnahmen der Regierung reiche die Versorgung nicht aus, um alle Haushalte zu beheizen.
Trotz der Angriffe und düsterer Aussichten bleiben die beiden optimistisch. "Ich glaube nicht, dass die Schlagkraft der russischen Armee ausreichen wird, um große Teile der Grundversorgung lahmzulegen", sagt Volkov. "Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind stark, wir halten zusammen. So werden wir diesen Krieg überstehen."